Staub und „Spirit of Masada“

Krav Maga-Training in Masada

Krav Maga, wie es ursprünglich war: Man hat keine Fragen gestellt, sich auf den Felsboden geschmissen und einen Tritt zum Kopf abgewehrt. Das ist die Geschichte, wie sie das vorstehende Bild erzählt. Es ist zum Jahreswechsel 2002/3 entstanden; Schauplatz: die historische jüdische Festung Masada, die von den Römern nicht erobert werden konnte. Wohl aber belagert, und als die Römer sich über eine mühselig aufgeschüttete Rampe an die Festungsmauer hoch oben auf dem Berg herangearbeitet hatten, gaben die Eingeschlossenen auf. Aber sie ergaben sich nicht, sondern wählten den Freitod.

So erzählt es zumindest die Legende, und natürlich ist sie eine Geschichte über jüdischen Widerstandsgeist und den unbedingten Willen, sich gegen eine Übermacht zu behaupten. Und somit ist sie eine „Krav-Geschichte“ (Krav = hebräisch „Kampf“); und dort rund 2000 Jahre später zu trainieren, bedeutete, in diesem Geist zu trainieren.

„Spirit of Krav Maga“

So war es eben am Anfang, als es in Deutschland noch keine Krav Maga-Trainingsangebote für Zivilbürger gab, allenfalls polizeiliche und militärischen Einheiten sich mit ihren israelischen Kollegen austauschten. Um Anfang der 2000er Jahre Krav Maga kennenlernen und trainieren zu können, musste man nach Nord- oder Osteuropa (wo man Krav Maga Mitte der 90er Jahre zu trainieren begann) pilgern, oder eben nach Israel.

Damals erlebte man noch den authentischen „Spirit of Krav Maga“, vermittelt durch israelische Instructors, die bei der Armee gewesen waren und Einsätze etwa in einem der Libanon-Kriege erlebt hatten. Man konnte (noch) mit israelischen Fallschirmjägern an einem Strand des Mittelmeeres Nahkampf trainieren und an Orte & Umstände gelangen, wie es in der vergangenen Dekade nicht mehr möglich war. Von diesen – meinen – Anfängen des Krav Maga erzählt die „KMF-Geschichte von 2002 bis 2020“ ohne lange Texte in vielen Bildern, von denen beinahe alle zuvor nicht veröffentlicht wurden.

Beginnend mit einem Trainingscamp in Nordnorwegen über „Touring & Training“ in Israel und meinen Instructor Course in Finnland und Schweden (alles 2002 und 2003) über die Anfänge des Krav Maga Centers Frankfurt/Rhein-Main (KMF) in Frankfurt-Bergen-Enkheim und Offenbach und die weiteren Ausbildungen als Law Enforcement & SWAT Instructor bei den ungarischen Grenzpolizeistruppen und all die Seminare & Trainings bei israelischen Topinstructors wie Eyal Yanilov, Amnon Darsa, Avi Moyal, Tamir Gilad, Zeev Cohen und Ilya Dunski sowie unsere Sonder-Veranstaltungen zu „Gunthreat Defenses & Shooting“ oder „Taktische Notfallversorgung“ bis hin zum Sea-Air-Land-Camp auf Lanzarote…

Diese Geschichte zu erzählen ist wichtig. Denn Krav Maga ist ein Opfer des eigenen Erfolgs geworden – heutzutage wimmelt es an allen Ecken und Enden von Krav Maga-Angeboten mit fragwürdigen Trainern unklarer Ausbildung übers Wochenende, die niemals auch nur einen Fuß auf israelischen Boden gesetzt haben, um eine authentische Erfahrung des „Spirit of Krav Maga“ zu haben. Die die Losung „never surrender“ nur nachplappern, gefolgt von Schülern, die sich niemals ohne zu fragen auf den Felsboden von Masada werfen würden, um sich gegen den Kopf treten zu lassen…

Krav Maga-Instructors & Möchtegern-Instructors

Es gibt Möchtegern-Instructors – und das auch bei den renommierten Organisationen KMG und IKMF -, die die Frustration nicht überwinden können, bei einem Level Test auf eine mittelhohe Graduierung durchgefallen zu sein. Die sich als Kämpfer – mit lauter Durchhalteparolen auf den Lippen – geben, aber nicht wieder nach einem Niederschlag wie einer möglicherweise ungerechtfertigten Beurteilung auf die Füße kommen; die die Scham nicht produktiv verarbeiten können, bei einem Fitness Test versagt zu haben. Solche, bei denen das Leben ernst macht, und sie hätten zeigen können, dass sie nicht nur gut sind, wenn alles gut läuft. Sondern, dass sie mit bitteren Niederlagen fertig werden.

Es gibt Möchtegern-Instructors, die es nicht verkraften, wenn sie bei einer wettkampfartig organisierten, konkurrenten Sparringsrunde gegen MMA-erfahrene Schüler unter den gegebenen Bedingungen der Verletzungsarmut den Kürzeren ziehen. Die an ihrem Nimbus des harten Instructors festhalten, obwohl sie gerade blamiert wurden. Und, ja: Ich habe diese bittere Erfahrung bewusst auf den internen Ausbildungsplan für die Nachwuchs-Instructors gesetzt, um zu sehen, wer die Feuerprobe der Niederlage besteht.

Staub und Selbstmordattentate

Meine KM-Geschichte erzählt, unter welchen primitiven, unkomfortablen Bedingungen wir trainiert haben, unter welchen Umständen (2002 waren Selbstmordattentate in Netanya noch ganz real; ich selbst bin an einem, das in unserem Frühstückscafé passierte, um gerade zwei Tage vorbeigekommen) wir unterwegs waren. Viel später würden deutsche Instructors sich weigern, mit nach Israel zum Training zu kommen, weil es zu gefährlich sei…

Heutzutage kann man „Krav Maga“ im Rhein-Main-Gebiet außerhalb der Clubs der etablierten, israel-basierten Organisationen KMG und IKMF u.a. bei der Arbeiterwohlfahrt, Wirtschaftsjunioren, sogar explizit linken Vereinen (Roter Stern Frankfurt) sowie Hinz & Kunz trainieren. Ob jemand von deren Trainern jemals den Staub und „Spirit“ von Masada geatmet hat?