Mikro-Abenteuer III: Zwischen Poel und Usedom

Bitimobil: Sonnenuntergang an der Ostsee

Manche kommen jedes Jahr hierher, im Urlaub. Und das seit zwei Dutzend Jahren oder mehr. Fahren auf dem breiten Radweg am Damm hinterm Strand auf und ab. Davor und danach wird die Zeit auf dem fest installierten Wohnwagen auf dem Campingplatz verbracht. So herrlich, die Ostsee in Zingst.

Das Touri-Städtchen liegt im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, und so wie das klingt, sieht es auch aus. Es gibt einen Darßer Urwald nebenan, die Fähre von Ribnitz-Damgarten gen Rügen schlängelt sich südlich vor der Insel Kirr mit dem Ort Klein-Kirr vorbei, Schiffe schwimmen durch Wiesen; wenn man auf die Landkarte schaut, dann gehen Land, Wasser, Sumpf, Bodden – was auch immer, wie auch immer – aneinander und ineinander über.

Viele mögen diese eigenwillige und einmalige Umgebung; man kann sich ihrem Charme schwer entziehen – zumindest wenn man gut mit feucht-kalt-windig kann. Wenn man eine Nordost-Deutschland-Tour mit dem Bitimobil – so der Spitzname des T5-Campingbusses meiner Gattin & Gefährtin – im April plant, muss man sich auf solcherlei einstellen. Dazu fahren wir ja auch her: Der VW Bus verfügt über ein Bett im Aufstelldach, eine Diesel-Heizung und eine 12V-Heiz-Decke, außerdem Geländefahrwerk und Allradantrieb, und nun wollen wir wissen, wie weit man damit zwischen den Inseln Poel und Usedom kommt.

Eine Tour, die dem Motto des Amphibiums – Reisen zu Land / Wasser / Luft – im besten Sinne gerecht wird. Es geht also im Halbrund entlang der Ostseeküste, mit im Gepäck ist das Trackbook Nord-Ost mit 44 Offroad-Routen jenseits ausgetretener Pfade. Aber zuerst landen wir quasi im Vorbeifahren in der Dorfrepublik Rüterberg an der Elbe und damit einem Kleinod deutsch-deutscher Geschichte: 150 Einwohner waren im Grenzgebiet zwischen Ost und West rundum eingezäunt (weiteres dazu bei Planet Wissen). Jeder passierte nur mit Passierschein.


Es gibt dort einen kleinen Stellplatz, der schon voll belegt ist, als wir ankommen; die freundlichen Besitzer klemmen unseren Bus noch hinter die Scheune, und alles ist gut. Wir gehen an einer grauvernebelten Elbe unter alten Wachanlagen vorbei spazieren. Wasser wird uns ab jetzt fortwährend begleiten: Als Fluss, Tümpel, Teich, See, Meer.

Nicht allzu viele Kilometer weiter, am nächsten Tag, besuchen wir das (Öko-) Gutshaus Stellshagen zum Osterfeuer-Revival – vor x-Jahren hat Frau Biti* dieses bei einer Fortbildung zur Akupunkteurin kennen- & schätzen-gelernt; und so haben wir schon einmal ein Osterfeuer dort – mit Gesang zur Quetschkommode – erlebt. Nun also wieder. Ein Mann namens Reinhard knarzt Ostseeplatt & schweigt.

Kein Abendessen im Veggie-Restaurant mehr möglich, sagen Schlitzaugen oberhalb der FFP2-Maske; also One-Pot-Pasta vom Lotus Grill auf dem Fahrzeug-Boden. Soll man nicht machen, nun ja. Das Hotel des Gutshauses ist auch ausgebucht; wir stellen denn Bus zur Übernachtung auf eine Stellfläche im Ort, und keinen kümmert’s.

Zum Revival gehört ein Ausflug zur Klützer Mühle – teuer für wenig, aber wir lernen Störtebeker Alkoholfrei kennen (und das wird eine Liebe fürs Leben) -, nach Boltenhagen (Seebrücke) und zur Wohlenberger Wiek (Strand), und da ist der Rummel los, den man zur Osterzeit erwarten kann.

Auf der Weiterfahrt klappern wir einige der Hinterland-Routen ab, die das Trackbook für die Gegend vorschlägt, und damit eben das, was hierzulande als „offroad“ auf Feld- & Waldwegen machbar und möglich ist – Deutschland ist halt nicht Marokko oder Namibia. Aber auch auf einem Wiesen-Womo-Stellplatz oberhalb eines Ostseestrandes kann man einen würdigen Sonnenuntergang erleben.

Der Stellplatz in Beckerwitz bietet viel Platz und Abstand zu den Nachbarmobilen; etwas was man von dem dazugehörigen Campingplatz ein paar Meter weiter unten nicht sagen kann. Dort steht die bundesdeutsche Wohnwagenfreiheit im Schulterschluss in Reih‘ und Glied. Kuschelcamping at its best.

Ähnliches lässt sich über den nächsten Übernachtungsort auf einer Asphaltfläche in einem kleinen Hafen sagen, wo Weißwarenbesatzungen ihre Rituale pflegen. Im durchreglementierten und -observierten Binnentourismus Deutschlands ist es schwierig, einen Schlafplatz fürs Bitimobil zu finden, der sich nach Freiheit & Abenteuer anfühlt. Die grauhaarigen Nachbarinnen lassen dafür alle etwas von ihrem Sat-TV bis 2 Uhr früh haben.

Wismar liegt auf dem weiteren Weg, also rein in die Stadt, zu der es in der deutschen Wikipedia heißt:

Wismar war früh Mitglied der Hanse und blühte im Spätmittelalter auf, was noch heute im Stadtbild durch viele gotische Baudenkmale nachvollziehbar ist. 2002 wurden die Altstädte von Wismar und Stralsund als Historische Altstädte Stralsund und Wismar in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen.

Schöne Bilder schöner Häuser lassen sich im Internet zuhauf finden. Mehr als die Wikipedia vermittelt, weiß ich zu der Stadt nicht zu berichten. Außer, dass beim Schlendern ein nicht sonderlich feines Haus auffiel, an dem Wahl-Plakate für DIE PARTEI mit den Aufschriften „Erste Wahl bei AfDerjucken“ und „Bedingungsloses Mindesthirn für alle“ hingen. Sympathisch.

Und natürlich hat es uns als Amphibium die Poeler Kogge im Wismarer Hafen angetan. Wir sind ja immer für Fahr-, Flug- und Schwimmzeuge zu haben. Allerdings habe ich es nur zu Führerscheinen für Kfz (Krad bis Lkw bis 7,5 Tonnen) und Sportboot Binnen gebracht. Immerhin habe ich die Idee der Seebestattung von Wismar mit nach Hause genommen. Wenn es soweit ist. Dann ist mir auch das kalte Wasser wurscht, das ich als von meinen Ruhrpott-Großeltern an die Nordsee verschlepptes schmalbrüstiges Kind so sehr gehasst habe!

Und immer wieder kleine Tümpel mit Baumbestand drumherum. Schmucke Reetdachhäuser. Heruntergekommene Liegenschaften (wir haben ein Faible für Urban Exploring– & Ruinen-Fotografie)**. Eine träge heranrollende Ostsee, die immer da ist und sich nicht so (weit) zurückzieht wie die Schwester westlich. Legal zu befahrende Feld- & Waldwege, die die Geländefähigkeiten des Bitimobils nicht auf die Probe stellen. Die erste Insel, Poel, wird geentert. Mit Übernachtung auf dem angenehm weitläufigen Reisemobilhafen am Timmendorfer Strand. Sehenswürdigkeit: Hafen mit Fischbrötchen und Schunkelmucke open-air.

Das Navi lässt uns Rostock rechts umfahren, so gelangen wir gen Zingst; und als wir die Übernachtung dort auf einem Surfschul-Stellplatz hinter uns gebracht haben, wartet Rügen. Einmal rundherum und rauf und runter: Sassnitz, Putbus, Binz, Prora, Putgarten, Kap Arkona… Auf dem Campingplatz Drewoldke harrt der womöglich einzige unfreundliche Mensch ganz Mecklenburg-Vorpommerns auf uns. Nicht brummbärig, sondern missgelaunt und miespetrig.

<Da ich nicht als Reiseschriftsteller auf der Suche nach dem unbekannten Neuen unterwegs bin, belasse ich es bei den Verlinkungen und lasse Wikipedia für mich sprechen. Ehre, wem Ehre gebührt; und wem die Wikipedia-Infos zu den Orten nicht reichen, der bemühe die Suchmaschine seines Vertrauens.>

Das gilt auch für die nächste Etappe: Usedom. Meine Geografie-Kenntnisse sind im Allgemeinen nicht schlecht, aber ich wusste nicht, dass ein Teil der – auch überraschend – sonnenreichsten Gegend Deutschlands zu Polen gehört. Dafür ist mir als Flugzeugfan der Ort Peenemünde bzw. die Heeresversuchsanstalt des späteren Saturn V-Konstrukteurs Wernher von Braun samt deren Geschichte wohlvertraut… Und da wir früher viel Zeit im Technik-Museum in Speyer verbracht haben, war ein Besuch im Peenemünder Historisch-Technischen Museum natürlich ein Muss (siehe auch hier…).

Nebenan liegen militärische Relikte der DDR im Wasser der Peene – ein arg vernachlässigtes Sowjet-U-Boot und der liebevoll von ortsansässigen Marinekameraden gepflegte NVA-Raketenkreuzer „Hans Beimler“, der einen seine ausgereifte Technik zum Menschenschreddern schauerlich erfahren lässt. Und das, während gleichzeitig in rund 1500 Kilometer Entfernung aktuell der russische Angriffs-Krieg in der Ukraine tobt.

Wäre schön gewesen, wenn man das Kriegsschiff als rein geschichtliches Objekt in purer Retrospektive hätte wahrnehmen können. So schleichen wir beklommen durchs Schiff. Im dazu gehörigen Marine-Museum im Peenemünder Hafen redet einer viel und gerne über die 1. NVA-Flotille und putzt seine zahllosen Exponate; ich fachsimpele dann lieber (Sportboot Binnen!) mit ihm über seine selbstgebastelte Knotenlehrtafel.

Wir verlassen schließlich die an Nazi-, DDR-, Kalter Krieg-Geschichte reiche Gegend und biegen gen Müritz ab. Wir haben die Rückroute entlang der Mecklenburgischen Seenplatte gelegt – da waren wir früher einmal mit einem Hausboot unterwegs; und tatsächlich finden wir die Stelle, wo ich das 16-Tonnen-Stahlschiff von Kuhnle Tours damals an einen Brückenpfosten und einen Anleger geschrammt habe… Wir übernachten auf einem weitgehend leeren Campingplatz in der Nähe.

Und finden auf der Rückfahrt dann das, was im Vanlife so gepriesen wird: Allein auf weiter Flur an einem abgelegenen See übernachten. Auch in dieser Gegend nahe des Treptower See gibt es Trackbook-Touren, von denen wir drei absolvieren – und dabei fasst durch einen bäuerlichen Elektrozaun brettern.


Einem etablierten Prinzip folgend meiden wir alle Autobahnen und bitten das Navi, uns über Hinterlandstraßen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen in die hessische Heimat zu führen. Auch wenn’s doppelt so lange dauert. Man sieht so viel mehr. Außerdem will Biti ihrer in Allertshausen bei Maroldsweisach ansässigen Cousine noch einen Besuch abstatten.

So passiert’s, dass wir auf den letzten Kilometern über Nordnordbayern einbiegen – und so queren wir auch die ehemalige deutsch-deutsche Grenze zwischen Sachsen und Bayern und machen damit die unbeabsichtigte Rundtour durch die deutsche Geschichte der vergangenen Jahrzehnte rund.

*Biti ist die Verballhornung des von israelischen Mündern unaussprechlichen Namens Beate…
** Mehr dazu siehe mein weiteres Blog Appl-Z…