Paradies Richtersveld

Köcherbaum im Richtersveld

Ein Ort namens Sendelingsdrif ist das Tor zum Richtersveld Nationalpark; auch gibt es dort einen Grenzübergang ins benachbarte Namibia – eine kleine Fähre setzt dazu über den Orange River/Oranje/Gariep. Der Nationalpark schmiegt sich quasi in einen Bogen des westwärts bei Alexander Bay in den Atlantik fließenden Stromes; und so liegen auch die meisten Campsites dort.

Auf dem Weg dahin passiert man einen Ort namens Steinkopf und später am Meer das seewindzerzauste Städtchen Port Nolloth, bei dem früher mal nach Diamanten getaucht wurde. Heutzutage ist etwas lebendiger als Hondeklipbaai; an diesen Küstenorten fühlt es sich so an, als sei die Zeit stehen geblieben und die Anwohner darin erstarrt. Nicht, dass sie altertümliche Kleidung tragen würden – nur, was soll in diesen Orten passieren und was nur aus einem werden? Das Meer rauscht, und das Leben plätschert vor sich hin.

Diamantenabbau rund um Sendelingsdrif

Noch verläuft Asphalt unter den Gummifüßen des Landy, bis Alexander Bay. Dort endet der Teer, auch der Blick aufs Meer und Südafrika in seinem obersten nordwestlichen Zipfel. Von nun an geht’s nordöstlich auf einer vom Diamantenabbau gezeichneten Schotterpiste – 80 Kilometer Geratter und Geschüttel auf Wellblech gen Sendelingsdrif, einem Ort mit dem Charme verlassener US-Goldgräberkäffer: Tankstelle (!), Supermärktchen, Polizei- & Zollstation, Nationalpark-Rezeption.

Schotterpisten, egal ob „main road“ oder „minor road“ gelten in der Gegend nicht als „offroad“, sondern normale Straße, die auch mit einem Sedan – also einer Limousine – zu bewältigen ist. Wenn 4×4 und „high clearance“ vonnöten sind, wird meist vorher drauf deutlich hingewiesen. In Sendelingsdrif verbringen wir auf der sehr nüchternen Campsite nach dem offiziellen Check-in alleine eine vom benachbarten Tagebau geprägte Nacht – mit Hilfe von starken Scheinwerfern wird bis in die Nacht und ab dem frühen Morgen gearbeitet; heulende Lkws und Bagger inbegriffen.

Tags zuvor haben wir noch entdeckt, dass einer der Diesel-Zusatztanks unseres Landys geringfügig leckt; bei Tageslicht machen wir uns auf die Suche und entdecken, dass eine Schweißnaht undicht geworden ist. Wir basteln eine Bandage drauf, die wegen des Diesel-Öls nicht richtig aushärten kann, aber das Tropfen weitgehend verlangsamt und pumpen Kraftstoff in den Haupttank um. Bestens, dass der Landy insgesamt drei Tanks mit rund 150 Litern Inhalt hat… Wir müssen also nicht befürchten, eine Umweltsauerei zu begehen (die mit Blick auf ölende Bakkies & Bagger hier kaum jemanden interessieren dürfte) oder mangels Sprit liegen zu bleiben.

Während unseres morgendlichen Kaffees schaut ein mehrköpfiger Putztrupp mit Besen und Rechen vorbei, schiebt lustlos ein paar Zweiglein zusammen und schwatzt ansonsten im Schatten vor sich hin. Nach getaner Arbeit zieht die Kolonne von dannen. Wir auch, und steuern die De Hoop Campsite am Oranje an, via Akkedis Pass. Der hat’s in sich, schmal, felsig, holprig, gelegentlich steil, gelegentlich mit tiefen Pfützen versehen – auch wenn er nicht die Katastrophen-Dimension des berüchtigten Van Zyl’s Pass in Nord-Namibia hat, so dürfen doch Fahrzeug und Fahrer zeigen, was sie können bzw. gelernt haben.

Scharfe Felskanten am Akkedis Pass

Die Reifen – Luft raus! – werden bei diesen Passagen schwer gestresst und geschredderte Pneus sind nicht selten. Auch besteht durchaus die Gefahr, Fahrgestellteile auf harten oder spitzen Felsen aufzusetzen. Und manchmal gibt es keine Ideallinie im Zielkonflikt zwischen Vermeiden eines brachialen Bodenkontakts, Kurvenwinkel und scharfkantigen, Reifen-zerfetzenden Steinen am Rand. Irgendein Schadens-Risiko muss man eingehen… Fahrzeug aufbocken, um einen Reifen zu wechseln ist bei der völlig unebenen Geländebeschaffenheit ein Abenteuer; und Abschleppen nach einer Havarie wird kaum möglich sein.

Außerdem müsste man bei einer schweren Panne erst einmal jemanden erreichen. Da das Mobilfunknetz in Sendelingsdrif zurückgeblieben ist, bliebe also nur unser Satelliten-SMS-Kommunikator… – die kostengünstige Alternative zum tatsächlichen Satellitentelefon. Aber wenn tatsächlich Parkranger mit ihrem Bakkie aufkreuzen würden – wie sollten sie dann das steckengebliebene Fahrzeug herausziehen und abschleppen? In der offenen Weite der Tankwa Karoo war das im Januar 2021 kein Problem gewesen (siehe Vierradantrieb wird überschätzt, Bodenfreiheit ist alles!)… aber hier und jetzt?

Alles klappt aber trotz gelegentlichem Luftanhalten und wir erreichen schadenfrei De Hoop. Wie bei diesen Campsites häufig üblich, besteht ein einzelner Standplatz aus mehreren hundert Quadratmeter Fläche, samt Pavian-gesichertem Sanitär-Block und Braai. Der nächste liegt dann so weit entfernt, dass man seine Nachbarn kaum zu sehen und zu hören bekommt. Eine Tamariske leistet uns Gesellschaft und erfreut mit den typischen Wind-Geräuschen in ihren feingliedrigen Blättern.

Wir sind zunächst allein mit Fluss und Affen, am nächsten Tag gesellt sich ein – menschliches -Pärchen hinzu und baut sein Dachzelt auf einer der anderen Campslots auf und wird von da an kaum mehr bemerkt. Das kann man von einer Horde Pavianen keinesfalls sagen, die – aus den Bergen kommend – mit Kind und Kegel zum anderen Flussufer schwimmen; die Babies klammern sich dabei an die Rücken ihrer Mütter.

Affen-Besuch am Fluß-Lager

Die Baboons arbeiten sich dann durch die Blätter der Bäume und treten nach ein paar Stunden den Rückweg an. Offensichtlich mit großer Begeisterung springen sie wie Buben im Freibad in die Fluten des Oranje, lassen es platschen und schwimmen sehr gekonnt gegen die merkliche Strömung zurück. Zu uns halten sie gehörigen Abstand – offensichtlich geht von ihnen keine Gefahr für Mensch, dessen Vorräte, Zelt, Reißverschlüsse u.ä. wie andernorts aus.

Folglich können wir in einer kleinen Wanderung die Umgebung erkunden und die rückwärtigen Fels-Hügel erkunden – auf denen sich tierische Trampelpfade finden, die Auskunft über die Standardrouten der Paviane geben. Oder der ebenso weit verbreiteten wie putzigen Vervet Monkeys, von denen uns drei später am Lager besuchen kommen und gar nicht scheu Harz aus der Baumrinde kratzen. So träge wie wir am Braai-Feuer sitzen zieht der Oranje-Fluss vorbei. Unsere Wach- und Schlaf-Phasen haben sich from sunset to sunrise angepasst.

Nach zwei Nächten ziehen wir zur Richtersberg Campsite um. Dazu fährt man einen Offroad-Pfad zwischen Fluss und Berg entlang, meist in tieferem Sand, gelegentlich von Ziegen- oder Schafherden begleitet. „Nr. 5“ schaufelt sich verlässlich in der Gelände-Untersetzung („low range“) durch; der Fahrer muss nicht viel mehr als lenken und nur sicher sein, im richtigen Maß Luft aus den Reifen gelassen zu haben.

Richtersberg erweist als offener, weiter, aber darob weniger kuschelig als De Hoop. Eine ganze Vervet Monkey-Familie kommt zu Besuch. Praktisch, dass sie sich entspannt im benachbarten Buschwerk tummeln – man darf annehmen, dass sie das nicht täten, wenn sie Schlangen darin entdeckt hätten. Das hat nämlich Beate getan, als sie den sandigen Hügel zum Ablution Block erklomm: Wobei nicht geklärt werden konnte, ob das schlangenartige Tier mitten auf dem Weg keineswegs eine Cape oder Spitting Cobra oder eine Puffotter, sondern ein Legless Lizard gewesen sein könnte – und damit ungefährlich.

Paradies für Wüstenliebhaber: Kokerboomkloof

Giftschlangen, so wissen wir mittlerweile nur zu gut, jagen keine Menschen. Allermeistens reagieren sie auf die Vibrationen im Boden, verschwinden sofort und man hat keine Chance, eine zu Gesicht zu bekommen (selbst wenn man es drauf anlegen würde). Man kann sogar zentimeternah neben eine Schlange treten und hätte gute Chancen, unbehelligt zu bleiben. Nur drauftreten sollte man nicht – und das passiert allenfalls bei Puffottern, deren notorische Faulheit sie im Gegensatz zu ihren Gattungskolleginnen einfach verharren lässt.

Wir ziehen schließlich an eine ganz abgelegene Ecke des Richtersveld um: Die Campsite der Kokerboomkloof („Köcherbaumschlucht“) liegt mitten in den Bergen fernab des Flusses, gilt im Sommer als mörderisch heiß und wird nach wenigen Stunden über eine passable Piste erreicht, die unseren 110er Defender vor keinerlei Anstrengung stellt. Wir finden uns in einer faszinierenden trockenen Fels-Landschaft wieder, in der Ocker- und Khaki-Töne dominieren. Rundherum nur sandige, staubige, öde, trostlose Schuttberge,…, „desolate“ sagt der Brite dazu.

Wir sind auf der noch weitläufigeren Campsite abermals alleine und fahren dreimal auf und ab, bis wir uns für einen der Standplätze entscheiden können. Bis auf gellegentlich Wind & Fliegen ist nichts, absolut nichts zu hören. Völlige Stille herrscht in der sonnendurchglühten Landschaft. Es ist November, also so etwas wie Frühsommer – hier oben herrschen tagsüber 42 Grad Celsius bei keinem Schatten. Den spendet alleine die Markise unseres Campers, unter die wir uns verziehen – was so gut wie nie vorkommt.

Nachmittags brechen wir zu einer rund zehn Kilometer langen Wanderung auf, rund um den „Zeh“ – ein eigentümlich geformter Felsen – und die eigentliche Kloof hinab. Zwei Nächte übernachten wir in der Kokerboomkloof, umgeben von lebenden, sterbenden und toten Köcherbäumen und der völligen Alleinigkeit. Es hätte gerne eine Woche oder ein Monat sein können.