Vierradantrieb wird überschätzt, Bodenfreiheit ist alles!

Die Tankwa Karoo ist ein Ort vielerlei Begierden, bekannt geworden ist diese semiaride Gegend dem ein oder anderen als Schauplatz des AfrikaBurn-Spektakels (das wiederum vom Burning Man-Festival in der Wüste Nevadas inspiriert worden ist). Der Nationalpark lockt Leute, die das Einsame, Weite, Leere suchen – so auch uns. Wer auf dem Herzberg-Festival („Stardust we are!“) war, der kann AfrikaBurn wohl kaum scheuen!

Also haben wir die Schnauze von Nr. 5 gen Osten gerichtet und sind von Enjo das Biedouw-Tal weiter gefahren, eine huckelige kurvige Schotterpiste entlang; quer über den Doring-Fluss, der im Sommer kein Wasser führt – sollte er das tun, so stellt er im Winter ein schwer unüberwindliches Hindernis dar. Angesichts der Felsbrocken, die derzeit im Flussbett im Trockenen liegen und gut sichtbar sind, wissen wir auch warum; eine eventuell heftige Strömung mag ihr weiteres dazu tun.

Alle Reifen bleiben heil

Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als umzukehren bzw. an Ort und Stelle ein oder zwei Bier bei Kyle zu trinken: Der Mann wohnt und arbeitet auf seinem Hof bzw. Kneipe kurz vor der Fluss-Passage bei Uitspankraal. Solcherart gestärkt kann man dann den beträchtlichen Umweg über die Mertenhof Gästefarm und via R364 in Angriff nehmen.

Unser Landy bringt uns entlang der weiterführenden Schotterpiste zur R355, die als besonders reifenzerfetzend gilt. Die Zufahrt zur AfrikaBurn-Site ist berüchtigt; aber vielleicht gilt das nur, wenn man mit einem normalen Vehikel besoffen oder bekifft von Kapstadt aus Richtung Süden kommt. Wir hingegen finden an der 355 nichts besonderes: eine Schotterpiste wie viele andere, besonders in Namibia, auch. Wer einigermaßen aufmerksam und nicht zu schnell fährt, sowie intakte Reifen an seinem Offroader hat, sollte keine Probleme bekommen.

Wir kriegen auch welche, aber andere. Später.

Nach der krickeligen schmalen Piste ab der Enjo Nature Farm mutet die R355 wie eine steinige Autobahn an. Bald schon sind wir am Zielort: Das Tankwa Tented Camp – nur wenige Kilometer in die Tankwa Karoo hinein und in der Stonehenge Nature Reserve gelegen, ist sozusagen das Einfallstor zur Tankwa und nahe dem früheren Gelände von AfrikaBurn.

With the annual rainfall in the area of about 80mm, it is the driest part of South Africa and perhaps the least populated area in SA. (…) The reserve host a number of annual events, of which the „Bike & Fly Inn“ attracts about 25 planes and many bikes every year. AfrikaBurn is hosted on a dry pan (April), while the other big fun event is BikeBurn in May.

Tankwa Tented Camp

Seltsame Metallskulpturen begrüßen uns mit stoischer Miene, gleichermaßen seltsame Gefährte stehen wahllos herum. Mad Max lässt grüßen. Sonst niemand da.

In der skurrilen, schummerigen Kneipe, die gleichermaßen als Rezeption fungiert, werden wir von dunkelhäutigen Gestalten, die wir im trüben Licht beim Betreten des Raumes kaum wahrgenommen haben, ein paar Windhoek Lager („Alcohol ban? Pfff – we’re in the Tankwa!“) und die Auskunft bekommen, dass wir unser Fahrzeug hinstellen können, wo wir wollen und dass AfrikaBurn in eine andere Ecke der Tankwa Karoo umgezogen ist. Bzw. wäre, wenn die Pandemie auch dieser Veranstaltung nicht vorläufig den Garaus gemacht hätte.

Wir schlagen unser Lager auf, trinken Bier und schauen in die Leere. Ringsherum Relikte vergangener Veranstaltungen, bizarre Metallkonstruktionen mirakulöser Fabelwesen aus dem All, ansonsten dunkle Steine („Stonehenge“!) noch und nöcher, Weite und Wolken. Wir wandern herum.

Ab und zu kommt ein Bakkie, lädt – weiße – Männer und Frauen und Kinder aus. Letztere planschen unter Aufsicht ihrer Mütter im kleinen Pool an der Rückseite der Kneipe. Die Väter sitzen im Halbdunkel an der Theke und trinken. Mag wohl sein, dass das Tankwa Tented Camp der einzige Ort im Umkreis von zig Meilen ist, an dem es Bier, Wein und Schnaps während des pandemiebedingten Alkoholverbots in Südafrika gibt. Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir alleine.

Tags darauf wollen wir die Tankwa durchqueren, um diese über den nordöstlich gelegenen Gannaga-Pass in Richtung Middelpos zu verlassen. Dabei kommen wir an der Dry Pan vorbei, auf der sich viele Jahre lang das AfrikaBurn-Festival abspielte. Einziges Überbleibsel und Indiz: ein Labyrinth, nur aufwändig in dreidimensional. Eine spiralförmige Holzkonstruktion schraubt sich empor.

War die Piste seit Einbiegen gen Tented Camp schon Wellblech übelster Sorte, so steigert sich die „corrugated road“ im Laufe der Weiterfahrt deutlich: Niemals zuvor sind wir so eine miese Piste in all den Jahren gefahren, weder in Marokko noch im isländischen Hochland noch sonstwo. Schnell fahren hilft nicht, langsam fahren erst recht nicht. Ein mörderisches Geschüttel, das an den Nerven zerrt.

Inkontinentes Frontdifferential

Und am Landy. An dessen Vorderachse. Ein Geräusch wird wahrnehmbar inmitten all der anderen. Zum versierten Offroadfahren gehört, dass man all die normalen Schepper-, Klapper-, Rassel- und Dengelgeräusche seines Fortbewegungsmittels kennenlernt, um im Zweifelsfalle zwischen „üblich“ und „unüblich“ oder gar „verdächtig“ unterscheiden zu können. Dieses hier klingt… beunruhigend.

Kurzer Stopp, kurzer Blick unters Fahrzeug. Schnelle Diagnose. Da läuft Ölbrühe aus dem vorderen Differential, nicht zu knapp. Das ist gar nicht gut, zumal wir eigentlich erst einige Kilometer einer noch langen Strecke bewältigt haben. Wenn sich die Zahnräder mangels Ölschmierung festfressen, wird es richtig übel.

Wie das Glück im Unglück es will, kommt uns ein Bakkie mit Rangern des Nationalparks entgegen. Natürlich blieben sie stehen. Natürlich helfen sie uns. Natürlich. Hier draußen hilft jeder jedem, der am Wegesrand liegen bleibt. Und auch wenn es nicht der Job der Nationalparkhüter ist, Mechanikerarbeiten zu übernehmen, so wird doch nach dem „technical guy“ ausgesandt, der uns womöglich zur Seite stehen kann.

Erst einmal kehren wir vorsichtig zu dem nur wenige hundert Meter entfernt liegenden Tankwa Guest House der Nationalparkverwaltung (Sanpark) um und bleiben in dessen Schatten stehen. Die Tankwa Karoo ist so klein nicht, die Ranger haben einiges zu tun. Wir warten. Wer das in Wildnis & Wüste nicht kann, ist am falschen Platz. Klar ist: Wir sind keineswegs „lost & lonely“. Die Ranger lassen uns sogar ins eingemottete Luxus-Gasthaus, um das dortige Festnetz-Telefon nutzen zu können. Mobilfunk ist hier draußen nicht.

Kardanwelle raus, Kardanwelle rein

Wir lernen wieder einiges: Nachlässig, keinen 13mm-Vierkantschlüssel für die Einfüllschraube am Frontdifferential dabei zu haben. So kann man kein Öl nachkippen, auch wenn man sogar das richtige dabei hat. Pech, dass das mühsame Ausbauen der vorderen Kardanwelle, um nur mit Hinterradantrieb weiterzufahren, nur dazu führt, dass der Landy sich keinen Millimeter rührt.

Stirnrunzeln bei allen Beteiligten, schließlich ein Anruf bei Claus-Peter Mette, unserem Landy-Spezi in Stellenbosch. Kann gar nicht sein, so die verblüffte Aussage am anderen Ende der nicht sonderlich stabilen Leitung. Einige Telefonate zu verabredeten Zeiten und Fehlversuche mit diesem und jenem später wird Nr. 5 an die Flanke des Guest House geschoben und das Nachtlager vorbereitet. Morgen irgendwann im Laufe des Tages kommt der Abschleppwagen.

Simon mit dem Abschlepp-Laster

Wir haben also am nächsten Tag ausreichend Zeit, die karge Karoo-Landschaft, die sich um uns herum in alle vier Himmelsrichtungen gen Horizont zieht, zu genießen. Im Laufe des Nachmittags erscheint ein wild fluchender Simon mit seinem Abschlepptruck auf der Bildfläche, nachdem es ihm rästelhafterweise gelungen ist, sich zu verfahren. Bei nur zwei existierenden Zufahrtswegen, wovon einer eigentlich für ihn, der aus Norden, aus Richtung Calvinia, kommt, nicht in Frage kommt?

Und damit beginnt der letzte und gefährlichste Teil des Abenteuers. Denn Simon spricht entweder ein bellendes Afrikaans oder ein Englisch, das nur schwerlich zu verstehen ist. Er prügelt seinen Truck mit dem Landy huckepack gnadenlos über Wellbrettpisten und steile Bergserpentinen rauf und runter, dass bange Blicke in den Rückspiegel nicht ausbleiben: Ist Nr. 5 überhaupt noch hinten drauf?

Klipp und klar: Bergrunter lässt Simon den Truck sich im ersten Gang runterwürgen, den Bremsen schenkt offensichtlich nicht allzuviel vertrauen. Wohl aber seiner Reaktion, den auch der Gegenverkehr mit vielen Groß-Lkws hält ihn nicht davon ab, bei aufs Lenkrad abgestützten Unterarmen sein Handy nach Whatsapp-Filmchen abzusuchen und diese dann zu genießen. In solchen Situationen steht immer die Frage im Raum, ob ein Streit darüber zu Nervosität und Aggression beim Fahrzeugführer führt – und damit zu noch mehr Unberechenbarkeit.

Besser die Klappe halten und beten. Hier in der Gegend sind ja viele gottesfürchtig. Und es klappt. Wir überleben 450 Kilometer bis nach Stellenbosch auf diese Weise. Nr. 5 landet – mal wieder – bei „Mette’s Autoelectrical“. Dort bleibt er auch – das Frontdiff ist mehr oder weniger geschreddert. Und der Vortrieb über die Hinterachse – der Landy hat ja eigenlich permanenten Allradantrieb – ist wohl schon länger nicht mehr gegeben gewesen. Ich sag’s ja: 4×4 wird überschätzt, Bodenfreiheit ist alles. Dann klappt’s auch mit offroad.