In Tan-Tan beginnt nach allgemeinem Verständnis die Westsahara bzw. der Einstieg in die Wüsten bzw. Halbwüsten Marokkos auf dessen westlichen Flanke. In der Geologie wird fein differenziert in semi-aride, aride und hyper-aride Regionen, also Voll- und Halbwüsten und auch Trockensavannen. Generell: 80 Prozent aller Wüsten weltweit sind Fels-, Geröll-, Stein- und Schotterwüsten (“Hammada” oder “Serir”); die von Film, Funk & Fernsehen bekannten reinen Sanddünen (“Erg”) umfassen nur 20 Prozent.
Wozu das Oued Draa zählt, das wir innerhalb von vier Tagen auf einer Piste durchqueren, weiß ich nicht – man spricht von einem Trockenflusstal. Der Draa-Fluss, aus Richtung Ouarzazate kommend, versickert schon hunderte Kilometer östlich bei Mhamid im Sand. Wenn im Frühjahr nach der Schneeschmelze in den Bergen und gelegentlichem Regen das Wasser weiter gen Westen gelangt, so sucht es sich seinen Weg entlang des ausgetrockneten Laufes,… und manchmal auch einen anderen.
Die Piste quert diesen Trockenfluss mehrfach, was dazu führt, dass häufig Gräben oder größere Abbruchkanten bewältigt werden müssen, bei denen der Pulsschlag schon mal ansteigt. Und manchmal verläuft die Piste eben auch nicht mehr, wo sie im Jahr zuvor noch war – was nach sich zieht, dass selbst bei einem vorhandenen GPS-Track man sich immer wieder die aktuell vorhandene Piste neu suchen muss, was mit teilweise abenteuerlichen Umfahrungen einhergeht.
Daher steigt Beate unterwegs häufig aus und erkundet laufend die Umgebung – es ist schon ganz praktisch, wenn man einigermaßen sportlich fit ist und beim “Fernspähen” nicht gleich aus der Puste kommt. Im Oued Draa wechselt der Boden dauernd zwischen den typischen Wüsten-Gesteinsformationen. Wir fahren insgesamt knapp 200 Kilometer, während derer zwischen Sand und Stein, Geröll und Fels die Oberfläche sich alle paar Kilometer ändert.
In Tan-Tan hat uns die örtliche Polizei etwas missverständlich durch den Ort geleitet – wohlwohlend meinend, wir wollten auf der Teerstraße nach Assa; aber wir wollen ja eine Offroad-Piste fahren… und müssen der freundlichen Eskorte entkommen. Wir biegen gen Geisterdorf Tilemzoun ab und dann auf eine Piste, die schon zur Asphaltierung vorbereitet wird…
Unser erstes Nachtlager schlagen wir ein paar Meter abseits der Piste nahe eines ausgetrockneten Bachlaufs und eines Ziegenkadavers auf. Nach einer geruhsamen Nacht steigen wir in den Pistenverlauf ein und treffen auf einen jungen Nomaden, dem wir zwei Zigaretten schenken. Genau für solche Fälle haben wir zwei Schachteln an Bord – in einem Land, in denen in den Städten teilweise Zigaretten einzeln verkauft werden, ein wichtiges Tausch-Mittel.
Der junge Ziegen-Hirte wird der einzige Mensch bleiben, den wir im ersten Drittel der 200 Kilometer Piste begegnen. Im letzten Drittel wird es zwei Nomaden geben, die sich um eine Kamel-Herde kümmern. Im mittleren Drittel ist niemand außer uns weit und breit – irgendwann vorher stoßen wir noch auf eine Nomaden-Familie, deren Vater uns mit einem Moped entgegenfährt.
Er bittet um Diesel für seinen Land Rover; wir fahren zu seinem Zelt und füllen 20 Liter in den Landy. Derweil lernt Beate das Zelt mit den Frauen kennen, und natürlich gibt es extrem gezuckerten Tee. Der Grünimog tropft mal wieder – das tut er sowieso, aber dieses Mal ist mehr als das übliche Reviermarkieren. Wir verlieren Getriebeöl, und das ist immer ein Grund für eine moderate Beunruhigung.
Mittlerweile laufen Flussbettquerungen an für den U. geeigneten Stellen sowie das Wiederfinden des Tracks ganz routiniert. Die zweite Nacht im Oued Draa verbringen wir unter einer Akazie, deren Zweige nachts sacht im Wind am Dach kratzen und bekommen von Großvater Sonne ein prächtiges Schauspiel am Abendhimmel geboten.
Schließlich findet sich etwa 28 Kilometer vor der Teerstraße nach Assa ein wunderschöner Nachtplatz nahe einer Tamariske, die wiederum in einer ganzen Baumreihe steht… Esel sind in der Nähe, auf sich allein gestellt, und blöken gelegentlich; und der Wind singt wunderbar durch die Tamariske. Es gibt wohl auf Erden kein schöneres Geräusch.
Am nächsten Abend werden wir abermals unter einer Tamariske übernachten und der Musik des Windes in ihren Zweigen lauschen. Der Stamm der Tamariske spannt sich beinahe wie ein Torbogen über das Heck des Unimogs – von hier ab sind es nur noch acht Kilometer bis zur Asphaltstraße zwischen Assa und Zag. In der Nähe findet sich ein Brunnen und ein offensichtlich aufgegebener Zelt-/Lagerplatz.
Die Vegetation lässt vermuten, dass hier ab und zu Wasser herunterläuft; der Umstand, dass der aufgegebene Lagerplatz leicht erhöht auf einem kleinen Plateau liegt, ebenso. Die Ortsansässigen wissen natürlich, dass trocken gefallene Flussbetten trügerisch und tückisch sein können.
Bei einer urplötzlichen Springtflut wird alles mitgerissen, was im Wege liegt oder steht. Plastikfetzen, Reste von Plastikzäunen, auch mal eine Ziegenhaut in den Wipfeln der niedrig wachsenden Wüstenbäume und –sträucher zeugen davon, dass das Wasser an dieser Stelle sehr hoch werden kann…
Und so gilt für den Fernreisenden und Wildniskundigen natürlich der Spruch: When in Rome, do aus Romans do… In Wüsten sollte man umso mehr sich das Verhalten der Einheimisch zu eigen machen: Sie wissen so viel mehr über die Umgebung, in der sie leben.
Auf weiten Flächen der Umgebung grasen Kamele mit ihrem Nachwuchs. Am Rande liegen manchmal große Kamelknochen – nicht alle Tiere überleben. Was die Landschaft des Trockenflusstales zwischen Hügel- und Gebirgszügen anbelangt, so lasse ich die Bilder sprechen und bediene mich lieber fremder als eigener Worte:
Kein Mensch kann in der Wüste leben und davon unberührt bleiben. Er wird fortan, wenn vielleicht auch kaum merklich, das Zeichen der Nomaden tragen; und er wird immer, je nach Veranlagung, leises oder brennendes Heimweh nach jenem Leben verspüren. Denn dieses unerbittliche Land übt einen Zauber aus, dem ein gemäßigtes Klima nichts entgegenzusetzen hat.
Wilfred Thesiger (1910-2003)