Südafrika VII/XIV: Mit dem Gnu auf Du und Du

Es ist bewölkt, fast grau, ab und zu regnet es leicht. Vor allem geht beinahe stürmischer Wind. Wenn es trübe ist, versinken die staubbedeckten Grasbüschel noch mehr im Grau – die Hardeman’s Karoo weiß, warum sie so genannt wird. Die Historical Guest Farm Melton Wold liegt zwischen Victoria-West und Loxton. Die Abfahrt zur Farm zweigt direkt an der Haupt-Straße ab, ein Tor wird geöffnet, nach ein paar kurzen Kilometern zeigt sich das Haupt-Haus inmitten stetig bewässerten Grüns in voller Pracht.

Es beinhaltet Besucher-Cottage, Restaurant und eine kleine Bar, aber vor allem Lounge-Räume, die so aussehen, wie sie seit vielen, vielen Jahren aussehen. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein; und genau das wollen die Besitzer konservieren. Zurück im vergangenen bis vorvergangenem Jahrhundert. Genau das will man auf einer Historical Guest Farm erleben.

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So sitze ich am nächsten Morgen wettergeschützt auf der Stoep des Haupthauses im historischen Ambiente und arbeite am Blog. Das dauert bis in den frühen Nachmittag. Tatsächlich: Schreiben und Fotos bearbeiten und Beitrag gestalten dauert auch für jemandem vom Fach länger als der Leser womöglich glaubt. Danach laufe ich ein wenig auf der Farm rum und sehe mir die alten, verwitterten Gebäude inklusive Windmühle an. Und den Riesen-Dam, der leer ist.

Die Farm existiert seit 1838 in verschiedenen Formen – verwaltet von verschiedenen Besitzer-Familien, die allesamt ihr Scherflein zum Ausbau beitrugen. An dieser Stelle soll George Arthur Paley erwähnt werden, der 1910 die Farm erwarb – und den riesigen, nach ihm benannten Dam schuf (eher ein See, der sich tatsächlich immer wieder füllt) und für einen kleinen, europäisch anmutenden Wald verantwortlich zeichnet: Ein bisschen englisches Look & Feel musste in der kargen Karoo-Ferne schon sein.

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Aber seiner kränkelnden Ehefrau tat das warme und trockene Klima gut. Mr. Paley war sehr wohlhabend, stellte Spezialisten für verschiedene Aufgaben ein und pendelte halbjährlich zwischen der geliebten Heimat und Südafrika. Das tragische Element der Geschichte soll nicht verschwiegen werden: Seine Ehefrau erholte sich so sehr, dass sie sich von ihm scheiden und ihn samt der beiden gemeinsamen Söhne verließ. (Die ganze Geschichte der Farm in fünf Phasen bzw. Besitzern: -> Melton Wold – History.)

Eine Schaffarm erkennt man an Zäunen, die mit Schafwolle vollgeflockt sind. Manchmal gibt die karge Landschaft selbst in ihrer Ausdehnung nicht genug Futter her; dann muss zentral zugefüttert werden. Melton Wold ist aber nicht nur eine Schaf-, sondern auch eine Game Farm, die über eine eigene kleine Kirche, Schule und Postagentur verfügt. Game Farm – das bedeutet, dass die für ganze Besucher-Gruppen konzipierte Campsite mit entsprechendem Braai-Platz, auf der ich als einziger Besucher logiere, voller Kacke ist. Im ersten Moment schreckt das einen ab – aber es ist Kak von Pflanzenfressern, sie stinkt nicht so widerlich wie die von Fleischfressern.

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Aber vor allem: Sie stammt von nächtlichen Besuchern – Gnu– und Eland-Antilopen. Nach dem Abendessen warte ich auf die Wildebeest. Und als sie kommen, sind sie plötzlich und nahezu geräuschlos da. Eine ganze Herde der struppigen Urviecher verteilt sich auf der Wiese und grast gemütlich. Von mir sind sie wenig beeindruckt, lassen mich mit Taschenlampe und Kamera erstaunlich nahe an sich heran. Der ein oder andere Wachhabende schaut konzentriert zu mir hinüber.

Ich bleibe hinter einem Baum halbwegs in Deckung. So ein Wildebeest hat mächtige Hörner und vermag damit seinem Afrikaans-Namen jede Ehre zu erweisen. Abgesehen davon verbietet es wiederum die Wildnispädagogen-Ehre, Tiere zu stören oder zu beunruhigen. Es reicht, dass sie da sind; Distanz zu halten gebietet der Respekt. Genauso plötzlich wie sie gekommen ist, zieht die Herde geräuschlos ab. Später kommen noch ein paar Eland vorbei, bleiben aber außerhalb der Campsite.

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In der Nacht regnet zweimal deutlich, das war schön anzuhören, hat aber zur Folge, dass die Ausstellfenster des Zeltdaches nass sind. Also muss ich erst mal warten, bis die halbwegs trocken sind, bevor zusammenpacken kann. Ansonsten gilt die Regel: Wenn fertig, dann dusch. Ich fahre noch auf der Farm in Richtung – früherer – Diamantmine herum; dabei komme ich zuerst an den Arbeitergebäuden und Kirche & Schule vorbei. Erstere – ca. acht – sehen recht gut aus; vielleicht die besten Farmworker-Behausungen, die ich bisher gesehen habe.

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Der (deutsche) Pfarrer aus Victoria West, der einmal in der Woche zum Gottesdienst kam, ist gestorben, und die Lokalverwaltung hat die Schließung der Schule angeordnet (angeblich zu teuer). Kirche und Schule sind also funktionslos. Die Kinder fahren jetzt ins Internat nach Victoria West und sind nur am Wochenende zu Hause – und das gilt für die Schwarzen Arbeiter- wie die weißen Besitzerkinder.

Die farmeigene Shooting Range sieht so aus, als habe da schon lange niemand mehr geschossen. Aber immerhin sind Ziele auf 100, 200, 300, 400 Meter aufgestellt. Zur Diamantmine geht’s auf dem – ein Kilometer langen – Flugfeld entlang, das grundsätzlich in Betrieb ist. Manchmal fliegen da Männerbünde in größeren Maschinen ein und lassen es dann braaig krachen.

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Ein verrotteter Oxwagon und eine verrostete Lore weisen den Weg. Von der Mine selbst sieht man nicht viel. Zum Fossil fahre ich nicht – dabei soll es sich zwar um einen von Paläontologen rekonstruierten Bradysaurus halten, 250 Millionen Jahre alt. Aber ich muss weiter in die andere Richtung. Unterwegs komme ich an ein paar automobilen Fossilien vorbei – offenbar ein Peugeot 404 darunter (siehe Bilder weiter vorstehend).

Auf dem Weg gen Loxton kreuzen zwei Schildkröten in artgemäßen Tempo die Asphaltstraße; ich stoppe und trage sie rüber. Schildkröten gibt es seit 220 Millionen Jahren, ein nahezu unverändertes Erfolgsmodell der Evolution – doch für eine Anpassung an die Veränderungen der vergangenen 200 Jahre sind sie womöglich zu langsam.