Coyote Mind: Kernroutinen und Kraftplatz

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Tattoo: Kojote-Mond-Kaktus

Zeitlebens habe ich mich am Rande wohl gefühlt. Ich wollte nie im Mittelpunkt stehen, war als Bub schon recht selbstgenügsam, konnte stundenlang alleine in meinem Zimmer spielen, aber ebenso mit den anderen Jungens in den Wald gehen und mit Holzschwertern gegeneinander kämpfen oder die Sandgrube so weit wie möglich hinunterspringen.

Aber ich musste dabei nie der Star sein. Später verbrachte ich einige Jahre im Journalismus – und diesen Beruf hatte ich durchaus auch vor dem Hintergrund gewählt, als Berichterstatter nicht im Zentrum, sondern am Rande eines Geschehens zu stehen. Es sozusagen vom Seitenaus zu betrachten.

Ich gab diesen Beruf u.a. deswegen auf, weil ich es leid hatte, nur über andere zu berichten, die etwas taten. Ich wollte selbst jemand sein, der etwas tut. Das Tun und Sein eine hohe Übereinstimmung haben. Das führte – zusätzlich zu anderen Gründen – zu der Krav Maga-Schule, mit der ich seit mehr als zehn Jahren meinen Lebensunterhalt verdiene. Aber auch diese folgt eher minimalistischen, denn expansiven Kriterien. Und sie existiert eher am Rande des großen Kampfsportgetümmels, nach den (mitunter eigenwilligen) Regeln, die wir – Beate und ich – setzen.

Call of the Wild

Es ist mir gegönnt, auf beeindruckende Leute zu treffen, die ihre Existenz am Rande des Mainstreams etabliert haben, nachdem sie früher oder später eine Laufbahn in der bürgerlichen Mitte oder Durchnittlichkeit aufgegeben hatten: Gangolf, der Hippie, der so sehr am Rande lebt und so wenig besitzt, dass er sogar von den deutschen Steuerbehörden in Ruhe gelassen wird; Peter Tesch mit seinen Schlittenhunden (www.husky-tours.net) und Axel Trapp mit seiner Wildnisschule etwa…

Kann es ein Zufall sein – im Universum gibt es ja angeblich keine – dass mich eine Art “call of the wild” zum Wurzeltrapp führte? Genauer: Ein “Globetrotter”-Prospekt, in der eine Wurzeltrapp-Veranstaltung zu den “Kernroutinen” des Coyote Mentorings aufgelistet war und die ich, einem inneren Ruf folgend, buchte.

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Tipi im Outdoor-Zentrum Lahntal

So fand ich mich im Anfang Mai schließlich mit Axel Trapp und drei Erzieherinnen eines Waldkindergartens im Outdoor-Zentrum Lahntal vor einem Tipi (siehe  Bild) wieder… zum ersten Wochenende in puncto “Coyote Teaching :: the Art of Mentoring” wieder… Naturverständnis nach indianisch-nativer Art zu erfahren, zu erleben, und zu wiederum vermitteln zu lernen.

Auf Axel Trapps Homepage heißt es dazu:

Die Kernroutinen, oder auch Herzroutinen der Wildnispädagogik sind uralte überlieferte Gewohnheiten der indigenen Völker.

Und:

Im Unterschied zu unserem Bildungssystem interessiert hier nicht, wie gut oder wie viele Informationen jemand speichern kann. Es geht um Erfahrungen, Sinne, Wahrnehmung, die Sprache des Herzens, Empathie, heimisch werden an einem Ort…

Die Kernroutinen sind immer wieder kehrende Standard-Abläufe im Naturerleben, vergleichbar den Fingerübungen in der Musik. Sie sind weder Unterrichtsstunden noch Kenntnisse, sondern Lerngewohnheiten, die tiefe Verbindungen zur Natur schaffen.

Wahrnehmen, was verborgen blieb

Das Ziel beim Üben und Verstärken dieser Herzroutinen ist es, so heißt es, eine auf der Natur basierende Wahrnehmung wieder zur Gewohnheit werden zu lassen. Dabei werden Gehirnmuster geformt, neue angelegt. Die Wahrnehmung ändert sich: Man sieht, hört, riecht, fühlt, was vorher da war – aber einem verborgen blieb.

Sitzplatz. Sinne erweitern. Geschichte des Tages. Vogelsprache. Fährtenlesen. Kartografieren. Herumstreifen. Tiere nachahmen. Mit dem inneren Auge sehen. Survivalfertigkeiten üben. Dank sagen.

Kojoten als Grenzgänger

Bestimmungsbücher etwa, also naturwissenschaftliche Kenntnisse, sind dabei nicht verpönt: Die Kojoten-Metapher steht für Grenzgänger zwischen Natur und Intuition, Wissenschaft und Fakten. Es geht um Erfahrungs- und Erlebniswissen, gekoppelt mit Faktenwissen. „Indem wir den Kojoten als unseren Führer annehmen, lernen wir sowohl die wissenschaftliche Landkarte wie auch das Terrain unserer Landschaft kennen,” heißt es im grundlegenden Werk zur Wildnispädagogik, dem “Coyote-Guide”.

Ich fand im “Coyote Guide” ein Zitat, in dem ich mich beschrieben sah:

Die echten Kojoten lauern am Rande der menschlichen Siedlungen, immer gerade außerhalb unserer Sicht- und Reichweite. Sie halten ihre Augen nach allen Seiten offen, ständig auf der Hut und wachsam gegenüber potenziellen Gefahren oder Gelegenheiten. So jagen sie, so leben sie – aufmerksam am Rande.

Das war er, der “call of the wild”. Nach dem ersten “Kernroutinen”-Wochenende war’s um mich geschehen: Konnte es ein weiterer Zufall sein, das seit Mitte der 80er Jahre ein Kojoten-Tattoo auf meiner rechten Schulter prangt (siehe Bild oben)? Das auf unserem Unimog der Amarok-Wolf aus der Inuit-Sagenwelt zu sehen ist?

Kojoten kenne ich seit ich Karl-May-Romane gelesen habe. Bei Winnetou & Co. kommen sie meistens als „feige Kojoten“ daher, die den Schwanz einklemmen. Das aber ist offensichtlich arttypisch immer der Fall, und keineswegs ein Zeichen besonderer Feigheit. Erst viel später habe ich Erik Zimens Buch „Der Wolf“ gelesen und begriffen, dass Wölfe, Kojoten und Schakale gar nicht feig, sondern nur scheu und vorsichtig sind. Und manchmal eben auch listig.

Ein Ort wie ein bester Freund

Seit geraumer Zeit schon gehe ich mindestens einmal pro Woche eine Stunde lang auf meinen Sitzplatz. Vorläufer ist eine buddhistische Praxis:  In der Achtsamkeits-Meditation gibt es eine Übung, die “Developing Intimacy with a favourite Place” heißt (siehe “Awake in the Wild” von Mark Coleman). Wie ähnlich! Zitat “Coyote-Guide”:

Ein Ort wie ein bester Freund. Alleine und still sitzen, bevor man in spielerischer Weise die Umgebung erkundet. Den Platz als Biotop gut kennen lernen – Böden, Pflanzen, Tiere, Bäume, Vögel, Wetter – zu jeder Tages- und Nachtzeit, in jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Dieser Platz wird zu ihrem Nest, Ihrer Nische, Ihrem Lernort, Ihrem Spielplatz beim Spurensuchen, und auch zu Ihrem Rückzugsort und Ihrem persönlichen Zentrum für Erneuerung.

Für mich ist der Sitzplatz in der Tat: ein Kraft-Platz. Ein Ort, wo der Kojote lebt.