Cederberg – weit weg und doch zu nahe

Kapstadt, Stellenbosch, die Winelands prägen das Westkap. Für die Wilderness Areas, die dort zu finden sind, hat das Folgen. Denn auch der südafrikanische (Groß-)Städter erweist sich als kaum weniger entfremdet als seine Kollegen in aller Welt. Die Wildnis ist zwar nahe, will aber trotzdem im Cocktailkleid erlebt werden. In aller Sicher- und Sauberkeit natürlich.

Davon profitieren Resorts & Lodges entlang der großen Ausfallstraßen; die N7 etwa transportiert Fahrzeuge und Familien – für südafrikanische Verhältnisse – zwar nicht auf dem direkten Weg, gleichwohl aber flott gen Norden. Ein Wochenendtrip in die Cederberg Mountains ist so möglich, auch mit nicht geländegängigen Automobilen. Wir hätten es ahnen können.

Nr. 5 nimmt auf Nr. 1 Platz

Natürlich hatten wir die N7 auch gar nicht im Fokus, deswegen entging uns vielleicht ihre Wahrnehmung auf der Landkarte. Von Stellenbosch wollten wir über kleinere Straßen via Wellington den angepriesenen Bainskloofpass ansteuern – nur war der justament wegen Straßenbauarbeiten gesperrt. Also wählten wir die R44 und passierten Hermon und Tulbaugh und entschlossen uns, den Bainskloofpass quasi von hinten aus der Nähe von Ceres anzufahren.

Bis zur Tweede Tol Campsite war er befahrbar; prima – da wollten wir ohnehin nächtigen. Keine Reservierung bzw. Buchung zu haben erweist sich einmal mehr schwierig, aber schließlich lässt uns der Torwächter ein und lotst uns auf den Stellplatz Nr. 1: ein Glücksgriff. Denn er liegt etwas abseits und läuft auf den Fluss zu. Die anderen Stellplätze der nicht eben großen Campsite sind durchweg gut belegt – wie nicht selten mit südafrikanischen Familien aller Hautfarben, deren verbeulte Fahrzeuge nicht unbedingt auf ein höheres Einkommensniveau schließen lassen.

Deren Freizeit-Vergnügen besteht vor allem in einem: Braai. Also das Verkokeln von möglichst großen Fleischbatzen, die einmal zu einem lebendigen Kudu, Springbok, Rind oder Schaf gehörten, auf dem offenen Holz-(kohlen-)grill. Viel hilft viel, diese alte Trainingsweisheit gilt auch hier, egal von was: emporlodernde Flammen & triefendes Fett, Brennspiritus & Grillanzünder. Stinkende Schwaden ziehen quer über die Anlage; begleitet von lautstarker Kommunikation.

Durch unsere Position im Abseits kriegen wir davon nicht sonderlich viel mit; wir sind sogar so positioniert, dass wir das Gefühl haben, allein zu sein. Tagsüber zieht es die Familien mit ihren Kindern ohnehin zu den Pools, die sich im Flusslauf des Witrivier befinden: besser als jedes Schwimmbad.

Motorproblem am Gydo-Pass

Ansonsten: Wenn noch mal Tweede Tol Campsite, dann nur bei erfolgreicher Buchung von Stellplatz Nr. 1. Die Canyon-Landschaft an sich ist einen Besuch allemal wert, lässt an wilder Rauheit nichts zu wünschen übrig; man kann krabbeln und klettern und den Flusslauf entlang wandern.

Am folgenden Tag kommen wir nicht viel weiter als über Prince Albert Hamlet hinaus. Beim steilen und langsamen Anstieg auf der R303 den Gydo-Pass hoch flammt das Warnsymbol für ein Motorproblem auf. Kurz links ran, eine Haltebucht bietet sich an. Wir wollen eigentlich in entfernteres und unwegsameres Terrain weiter – das aber nicht mit einem sich womöglich anbahnenden Motorschaden. Also kehren wir kurzerhand um, und fahren die 250 Kilometer zurück nach Stellenbosch; immer einen bangen Blick auf die Motorkontrollleuchte.

Gepflegte Schotterpiste durch die Cederberg Mountains

In Stellenbosch bei unserer versierten & engagierten Standardwerkstatt Mette’s Auto-Electrical wird kein gravierender Fehler diagnostiziert. Werkstattchef Claus-Peter Mette rät mir dazu, ein kleines Diagnosegerät (Typ Nanocom) zu erwerben. Damit kann man unterwegs die Diagnose-Daten auslesen und interpretieren – und sich eine umständliche Umkehr vielleicht ersparen.

Der zweite Anlauf gen Cederberg Mountains lässt uns dann die Strecke über Prince Albert Hamlet bis zum Dorp op die Berg in einem problemlosen Rutsch bewältigen. Dort geht’s rechts ab – endlich Schotterpiste, wenn auch eine, für deren Bewältigung man keineswegs einen Land Rover braucht. Aber immerhin zieht sich das graue Band durch eine Berglandschaft, wie man sie bei einer Südafrika-Fahrt erleben will.

Zur Übernachtung steuern wir die Cederberg Oasis Campsite an – deren krachlederner Chef Gerrit zieht seinesgleichen an, vor allem Biker und Bikerinnen. Unser Landy ist da fast ein Exot und bekommt eine ganze Gruppen-Campsite für sich alleine zugewiesen. In der Bar ist im Honesty Shop Selbstbedienung auf Vertrauensbasis angesagt – jeder nimmt sich, was er will und trägt die Menge auf einen Waschzettel ein. Abgerechnet wird später.

Vielleicht das Biken anstrengender als man glaubt: Die Endurofahrer jedenfalls verziehen sich nach ein paar Bier noch weit vor Mitternacht in ihre Zelte zurück, die Gespräche am Feuer ersterben. Keine ungestüme Party wilder Jungs & Mädels. Es herrscht romantische Ruhe.

Wine Tasting, Trailrunning, Hiking, Partying

Tags darauf brummt uns der Landy mit sattem Turboflüstern durch Berg und Tal bis hin zur Sandrif-Campsite, die zu den Cederberg Wine Cellars gehört. Dort sind wir verabredet; außerdem sollten wir für den Freund den Weg erkunden. Denn angeblich sei die Zufahrt zur Cederberg Weinerei so schlecht, dass man unbedingt einen 4×4-Offroader brauche… Das können wir keinesfalls bestätigen – leider, wenn man so will.

Sowohl die Piste aus dem Süden als auch die aus dem Norden, von Clanwilliam her, ist für eine normale Limousine gut machbar. Und Clanwilliam liegt an der N7… was zwei partylärmdurchwachte Nächte zur Folge hat, denn halb Kapstadt scheint sein Wochenende nahe des bekannten Weinguts zu verbringen. Wer tägliche Stille und nächtliche Ruhe inmitten imposanter Bergherrlichkeit erwartet, ist hier verkehrt. Auch wenn man außer Partypeople & Familylife auch eher naturorientierte Trailrunner & Mountain Hiker/Climber sieht.

Vielleicht auch wegen des Alkohol-Banns im Corona-Lockdown: Bei Cederberg Wines kann man deren exquisites Produkt nicht over-the-counter kaufen – aber sich an seinen Stellplatz auf Sanddrif liefern lassen. Jeden Nachmittag fährt ein Bakkie vollbeladen mit Weinkisten zur Campsite und steuert die einzelnen Besteller an… Das bleibt nicht folgenlos, denn die Käufe müssen vertrunken werden – auf der N7 drohen Kontrollen der Polizei.

Unsere unmittelbaren Nachbarn rechts und links unseres voluminösen Stellplatzes sind freilich angenehm, ohnehin erkunden wir die Umgebung bei zwei kleinen Wanderungen zu den Wolfberg Cracks und dem flussgespeisten Malgat-Pool mit meterhohen Sprungfelsen. Ein Ausflug zu den Bushman-Felszeichnungen der Stadsaal Rock Art schließt sich an.

Wir erfahren auf Schautafeln vor Ort, dass die Zeichnungen keineswegs Alltagsszenen darstellen, sondern mystisch-religiöser Natur sind, Teile von Trance und Traum enthalten. Wer mehr dazu wissen will, wird u.a. in der Wikipedia fündig, etwa hier: San Rock Art. Schon klar, dass uns als naturmysthisch angehauchte Wildnispädagogen & Coyote Teacher (siehe hier: Was ist Coyote Mentoring?) , die wir obendrein einige unserer Lebens-Jahre dem Langdistanz-Triathlon gewidmet haben, die Ausdauer-Jagd der San fasziniert (siehe auch hier: Spitzkoppe & Omanduba: Geländerennen & Bushmen-Tour):

Bis zu 40 Stunden dauert die Verfolgung einer großen Kudu-Antilope, bis sie erschöpft ist. Bezeichnet wird diese Hetzjagd als „Der Große Tanz“. Ihrem Empfinden nach werden die Jäger eins mit dem Kudu, ahnen seine Wege voraus und erlegen ihn zuletzt aus kurzer Distanz mit dem Speer. Die aus der Beute getrockneten Fleischstreifen stellen für viele Wochen die Proteinversorgung sicher.

https://de.wikipedia.org/wiki/San_(Volk)

Auch als Krieger & Pflanzenfresser habe ich ja kein Problem mit dieser Art Jagd. Im Beitrag Lockdown-Fitness: back to basics habe ich an anderer Stelle ein Fitnesstraining beschrieben, die sich am San-Lebensstil orientiert. Sowohl die in Krieger & Pflanzenfresser beschriebene Ernährungsweise als auch die in Lockdown-Fitness: back to basics dargelegten Leibesübungen helfen enorm, die Strapazen einer Fernreise in unwegsamen Gegenden zu bewältigen.