Lockstoff Hongkong: Der süße Duft des bescheidenen Wohlstands

Nach der Übergabe an China hat die ehemalige britische Kolonie ihre Anziehungskraft auf Zuwanderer nicht verloren

Der Mann im gefleckten Kampfanzug, schwarzes Barett auf dem Kopf, großkalibriger Revolver an der Hüfte, blickt von einem Wachtturm den stacheldrahtbewehrten Zaun entlang. Er läßt den Blick durch den Fernstecher in Richtung der zum Greifen nahe Hochhaustürme von Shenzhen wandern, hinter sich die grünen Hügelketten der New Territories: »Das ist halt die Spielregel: Die Illegalen versuchen über die Grenze zu kommen, wir schnappen sie und schicken sie zurück. In ein paar Tagen versuchen sie es erneut.« Kein Frust. »Das ist mein Job«, sagt John Holmes.

Er lehnt den Ellbogen aufs Fenstersims und winkelt das rechte Bein an. Der 41jährige Chief Inspector der Hongkonger Polizei jagt seit 15 Jahren »II’s« – »Illegal Immigrants«. Der Grenzposten Mankamto, einer von drei Übergängen zum chinesischen Festland, liegt bei Lowu im äußersten Norden der ehemaligen britischen Kolonie, stößt direkt an die Sonderwirtschaftszone Shenzhen. Die Illegalen basteln sich Kletterhaken und Wurfanker, rücken dem Zaun mit Kneifzangen und Metallsägen zu Leibe.

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Ein Relikt des Vietnamkrieges

1300 ehemalige vietnamesische Boat People sitzen in Hongkong fest

Im einzigen Zimmer ihrer Barackenbehausung sitzt Nguyen Thi Thuoih, eine Frau mit tiefen Falten im Gesicht und leiser Stimme, im Schneidersitz auf dem Boden. Ein schmales Bett, eine schmuddelige Dusche in der Ecke, außer einem Fernseher, einem Bücherbord und einem Kruzifix gibt es kaum Inventar in dem schummerigen Zimmerchen. Die 42jährige lebt mit ihrem Mann und sechs Kindern im Alter zwischen 13 und 21 Jahren auf neun Quadratmetern. Nachtruhe, das bedeutet dicht gedrängt in der schwülen Luft nebeneinander auf der Matratze oder dem Boden zu liegen.

Ihr Vater, ein Katholik, hatte für die Franzosen gearbeitet und landete 1986 bei dem Versuch, Vietnam zu verlassen, im Gefängnis. Nguyen Thi Thuoih hatte mehr Glück, ebenso eine Schwester, die bis nach Kanada durchkam. Außer den Festlandschinesen lockt Hongkong nach dem Handover eine zweite Gruppe von Zuwanderern: aus Vietnam die Boat People.

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Drei Monate nach der Übergabe an China: »Business as usual« in Hongkong

Doch beim Pokerspiel um Dollars und Demokratie hat Beijing einen geladenen Revolver unter dem Tisch

Zwei Protagonisten des alten wie neuen Hongkongs residieren im noblen Admiralty Centre in der Harcourt Road: Martin Lee, Chef der größten Oppositionspartei, leitet seine Anwaltskanzlei nur einige Stockwerke entfernt vom Büro Elley Maos, der Chefökonomin der Regierung. Noch immer fahren in Hongkong die Rolltreppen schneller als anderswo in der Welt, gehen die Fahrstuhltüren schneller zu, liegt ständiges Handy-Geklingele in der Luft, wird permanent gedrängelt. »Business as usual« – wahrer konnte das Wort nicht werden als in Hongkong im Herbst 1997.

Wenn Hongkong ins Wanken gerät, dann durch Währungsspekulation, nicht durch Einflußnahme der Beijinger Oberaufsicht. Martin Lee gilt unter Journalisten als erste Adresse, wenn es um Fragen der demokratischen Zukunft Hongkongs geht. Der in feines Tuch gekleidete Anwalt, der als Mitglied einer kleinen Elite den Titel »Queen’s Counsellor« führen darf, war prominentes Mitglied des zwei Jahre vor der Übergabe an China gewählten Parlaments.

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»Wir sind noch in den Flitterwochen«

Geschäftsinteressen in China bestimmen den Umgang der Hongkonger Medien mit Beijing

Graffiti in Hongkong 1997

Die Hongkong Journalist’s Association (HKJA) organisiert 710 von rund 4000 örtlichen Journalisten, und ihr zweiter Vorsitzender, Liu Kin-ming, findet es überraschend ruhig in der Stadt: Keine Verhaftungen, keine Zeitung wurde geschlossen, seitdem die beiden ungleichen Partner am 1. Juli den Bund fürs Leben schlossen. Liu bleibt dennoch skeptisch: »Wir sind immer noch in den Flitterwochen.« Denn: »Tung hat bisher nichts Dummes getan, aber er wird.«

Der Regierungschef ist für Liu ein »Verkäufer singaporeanischer Werte« – also autokratischen Stil und eingeschränkte demokratische Rechte. Kritische Artikel könnten unterdrückt werden, wenn nötig erachtet: »Beijing versteht nicht, was Meinungsfreiheit bedeutet.« Warnende Anzeichen gibt es in der Tat: Zwölf Jahre sollte Xi Yang von der «Ming Pao« in China im Gefängnis sitzen, weil er 1993 zur Zinspolitik recherchiert hatte. Vorwurf: »Verrat von Staatsgeheimnissen«.

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