»Wir sind noch in den Flitterwochen«

Geschäftsinteressen in China bestimmen den Umgang der Hongkonger Medien mit Beijing

Graffiti in Hongkong 1997

Die Hongkong Journalist’s Association (HKJA) organisiert 710 von rund 4000 örtlichen Journalisten, und ihr zweiter Vorsitzender, Liu Kin-ming, findet es überraschend ruhig in der Stadt: Keine Verhaftungen, keine Zeitung wurde geschlossen, seitdem die beiden ungleichen Partner am 1. Juli den Bund fürs Leben schlossen. Liu bleibt dennoch skeptisch: »Wir sind immer noch in den Flitterwochen.« Denn: »Tung hat bisher nichts Dummes getan, aber er wird.«

Der Regierungschef ist für Liu ein »Verkäufer singaporeanischer Werte« – also autokratischen Stil und eingeschränkte demokratische Rechte. Kritische Artikel könnten unterdrückt werden, wenn nötig erachtet: »Beijing versteht nicht, was Meinungsfreiheit bedeutet.« Warnende Anzeichen gibt es in der Tat: Zwölf Jahre sollte Xi Yang von der «Ming Pao« in China im Gefängnis sitzen, weil er 1993 zur Zinspolitik recherchiert hatte. Vorwurf: »Verrat von Staatsgeheimnissen«.

Protest für Meinungs- und Pressefreiheit 1997

Xi wurde wenige Monate vor der Rückgabe Hongkongs an China vorzeitig freigelassen. Seine Rückkehr schreibt die HKJA einem Umstand zu: daß die »Ming Pao« ihre Linie gegenüber Beijing und der Übergabe Hongkongs aufweichte. Die Unabhängigkeit von Taiwan oder Tibet in Artikeln zu diskutieren, ist tabu.

Druck wird auch über die Anzeigenvergabe der Staatsunternehmen Chinas ausgeübt. Kritische Kolumnen schränkte die »Ming Pao«Leitung im März ein. Die »South China Morning Post« bekam im April einen »Berater« ins Haus gesetzt. Die Fälle sorgten für Aufregung, weil beide Zeitungen einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit besitzen. Immer öfter ist vom »Tiananmen-Vorfall« die Rede, nicht mehr vom »Massaker«. Liu: »Drohungen gibt es nicht, aber vorauseilenden Gehorsam.« Insofern teilt er die Meinung des Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Martin Lee, der über die Hongkonger Presse urteilt: »Sie war mutig genug, Patten zu kritisieren. Nun übt sie Selbstzensur.« Das hänge nicht nur mit direkten Eingriffen durch Beijing oder der »Schere im Kopf« der Redakteure zusammen. Lee: »Die Verleger der Hongkonger Presse haben Geschäftsinteressen in China.«

Schildkrötenei mit null Intelligenz

Die Vermutung, daß ein Teil der Presse die Freiheit zu Schreiben nur hochhält, solange sie nicht mit den Bilanzen kollidiert, hegt auch Liu Kin-ming. Besonders denkt er an Jimmy Lai, dessen Publikationen »Next« und »Apple Daily« als Hochburg chinakritischer Äußerungen gelten. Lai bezeichnete Chinas Premier Li Peng in einem 1994 geschriebenen Artikel als »Schildkrötenei mit null Intelligenz«, eine drastische Beleidigung in China. Lai sei ein »fantastischer Kerl«, aber der spät berufene Verleger – eigentlich Inhaber eine Modekette, die nach Lais Attacke prompt Schwierigkeiten in China bekam – sein kein Vorreiter für Demokratie und Pressefreiheit, sondern ein nüchternerGeschäftsmann: »Wenn der Markt für sein Produkt schrumpft, hat er kein Problem, einen Wechsel vorzunehmen.« In Lais Blatt steht in der Tat alles, was den Verkauf fördert: Beschimpfungen chinesischer Politiker ebenso wie die Adressen von Prostituierten.

Jonathan Fenby, Chefredakteur der erfolg- und einflußreichen »South China Morning Post«, betont, daß sich nichts geändert habe. Martin Lee schreibe beispielsweise weiter seine Kolumnen für die Zeitung. Sicher, nebenan residiere der 77jährige Feng Xiliang in seinem Büro, den Fenbys Verleger Robert Kuok Hock Nien und einer der reichsten Männer der Welt, dorthin plaziert hat. Aber Feng, Mitbegründer des chinesischen Blattes »China Daily«, mische sich keineswegs ins Redaktionsgeschäft ein. Dafür sei er nützlich für »guanxhi« – Beziehungen – nach China.

„Ist die Tür geschlossen, kann man den Hund prügeln“

Veränderte Schwerpunkte in der Berichterstattung seines Wirtschaftsblattes hält der 54jährige Brite nicht für Anpassung, sondern für Pragmatismus. Schließlich soll er nach Willen seines Verlegers in Zukunft mehr als die bisher genehmigten 4000 Exemplare seiner Zeitung jenseits der Grenze in China verkaufen. Das ist ein Interesse, das er mit Jimmy Lai teilt. »China ist ein riesiger Markt«, sekundiert Francis Li, stellvertretender Chefredakteur von »Apple Daily«, dort wolle auch er seine Zeitung verkaufen – was nur mit Billigung der chinesischen Behörden geht: »Eine Zeitung ist ein Geschäft. Warum nicht?«

Die HKJA traut den Hongkonger Zeitungen als Garanten für Demokratie und Meinungsfreiheit folglich kaum. Ob China sich an die mit den Briten geschlossenen Abmachungen halte, werde von der Aufmerksamkeit der Welt abhängen, betont Liu: »In China gibt es ein Sprichwort: Ist die Tür geschlossen, kann man den Hund prügeln.«

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