Riesenhunde, Gemsböcke, Kakerlaken

In Betta wird es sich begeben, dass ich nachts mich mit einem Riesenvieh von Hund unterhalte und Beate morgens einen Gemsbock streichelt. Betta heißt tatsächlich Betta, liegt irgendwo auf dem Weg von Lüderitz gen Walvis Bay an der C27 (in Helmeringhausen links abbiegen), und könnte als Paradebeispiel für diese „somewhere in the middle of nowhere„-Orte herhalten, die in Hollywood-Western als Kulisse dienen – bis hin zu Rindern, Viehgattern und im Wind sirrenden Propellern auf schmalen Metallfüßen; plus Gas Station.

Aber das Wüstenkaff Betta liegt in Namibia, verfügt über eine Anzahl an Camping-Stellplätzen, diesmal sogar mit einer Art Gerüst aus Metallrohren, das man auf einer wackeligen Metalltreppe erklimmen kann. Benachbart ist ein großes Gehege, auf dem Oryx-Antilopen (also Gemsböcke) auf und ab ziehen… Betta ist ein Ort, den man aufsuchen muss, wenn man das Gefühl haben will, im Nichts zu sein. Man kann dort eigentlich auch nichts tun.

Der Riesenhund heult nachts unvermittelt unter unserem Dachzeit auf dem Toyota Hilux los. Da er sich schon tagsüber als anlehnungsbedürftig und schmusig erwiesen hat, krabbele ich verschlafen die Leiter hinunter und fange ich eine Unterhaltung an und versuche ihn zu beruhigen. Leider kann er mir nicht vermitteln, was ihn bewegt – der Mond, glaube ich, war’s nicht. Beates tierische Begegnung: Sie kann einen jungen Gemsbock streicheln – selten, dass diese (mit ihren langen Spießhörnern durchaus wehrhafte) Antilopen jemanden nahe an sich herankommen lassen (deswegen Gemsbock = Gämsbock = Spießbock); dieses Exemplar ist offensichtlich handzahm.

Nach Betta übernachten wir auf der nächsten Etappe nach vielen Pistenkilometern auf einer kleinen Campsite oben am Spreetshoogte Pass. Auf dem Weg dahin kommen wir in Sesriem vorbei – dem Einstiegspunkt zu den Superdünen „Big Daddy“ und „Big Mama“ in Sossusvlei bzw. Deadvlei. Da waren wir im Januar schon – Gottseidank, denn jetzt ist am Eingangstor und dem Permit-Büro, gleichermaßen in Restaurant und Campsite, die Hölle los, auf dem Parkplatz steht Bus an Bus.

Sossusvlei im September also komplett over-crowded, im Wortsinne sozusagen; wir müssen aber in Sesriem einen Permit für die Zebra Pan und den Namib-Naukluft-Park erwerben. Namibia ist als zwar staubiges, letztlich aber bequemes und leichtes Reiseland sehr populär geworden, besonders in Deutschland (Sprach in Kolmanskuppe ein Guide zum anderen: „Die Deutschen übernehmen hier alles, was?“), und geländegängige Reisebusse schaukeln auch die betagteren Touristen zu den bekannten Highlights.

Daher das gleiche Bild in Solitaire mit seinem besten Apfelkuchen Afrikas; die täglich zu allen Uhrzeiten gebotene Live-Show umfasst die steile Performance asiatischer Touristen aus dem Bilder-Buch, immer wieder gerne unterfüttert von goldkettchengezierten Russentussen. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen.

Auf dem Spreetshoogte Pass freilich sind wir alleine; jeder der wenigen Stellplätze ist mit einer kleinen Steinhütte ausgestattet, die Waschbecken, Klo, Staub, Sand, Steine sowie tote oder lebendige Insekten unterschiedlicher Größenordnung beinhaltet. Besonders die Kakerlaken liebe ich, da sie einem uneigennützig & unentgeltlich die Bus-Besatzungen vom Leib halten. Auch nicht unüblich, dass es keine Rezeption o.ä. gibt, sondern nur einen handgekrakelten Zettel, auf dem darüber informiert wird, dass bald jemand kommt und die Details klärt.

Vermutlich gehört die Campsite zu irgendeiner Farm im Tal, von der aus man mit bloßen Augen oder einem Fernglas Ankömmlinge wahrnehmen kann. Chefin Ester fährt denn auch bald mit einem verbeulten Pickup mit Sohnemann auf der Ladefläche vor, kassiert die Eintrittsgebühr und lässt einen Sack Feuerholz da. Danach ist man mit sich, der Natur, Dornsträuchern, Steinen, Felsen, einem fantastischen Blick übers Tal und der (eher unwahrscheinlichen) Möglichkeit, dass eine Großkatze vorbeikommen könnte, alleine. Wir wissen mittlerweile, dass Leoparden Menschen nur in Notfällen angehen, da letztere stinken und im Vergleich zu einer zarten Antilope nicht gut schmecken.

Jenseits der organisierten und regulierten Reise-Touren bietet Namibia viel Spielraum für eigene Verantwortung. Selten passiert wirklich etwas Schlimmes, aber dafür immer mal wieder. Die Reiseführer, die wir konsultierten, machen die Risikoabschätzung schwer: Den Spreetshoogte Pass zu befahren, wurde als schwierig beschrieben – er war steil (22% Steigung), kurz (vier Kilometer) und problemlos; in manchen Passagen sogar gepflastert, um den Fahrzeugreifen mehr Grip zu bieten. Ich glaube, der Hilux hat noch nicht mal kurz durchgeatmet. Selbst bei Reiseführern, die sich an Robust-Reisende wenden, wird man manchmal das Gefühl nicht los, dass sie vom DAT (dem dümmsten anzunehmenden Touristen) ausgehen…

So hatten wir schließlich mehr mit dem nachts aufkommenden Starkwind auf der Passhöhe zu kämpfen, der uns nach Shark Island ein zweites Mal zwang, dass Dachzelt auf dem Hilux wieder zusammenzulegen und eine weitere unbequeme und schlafarme Nacht auf den Sitzen des Hilux zu verbringen. Immerhin klärt sich damit endgültig für uns, dass Dachzelt-auf-Pickup keine Lösung für uns ist – ein Fahrzeug mit Zelt-Hubdach muss beim nächsten Mal her.

Dieses ist einerseits windstabiler, andererseits kann man sich von der Matratze nach unten gleiten lassen, das Hubdach von innen schließen und verfügt dann über die gesamte Fahrzeuglänge zum Notschlafen. Obendrein kommt man noch an die Vorräte und kann den südafrikanischen Rotwein hervorholen, um die notwendige Bettschwere zu erzielen.