Bailie’s Gat & Amber Lagoon: Ruhe und Raum

Landy auf dem Weg nach Bailie’s Gat.

Yvonne Botha und ihre Familie fahren zweimal am Tag, rauf und runter. Um die Arbeiter aus der Siedlung in der Nähe zu holen und zurückzubringen; und zusätzlich ein- bis zweimal pro Woche, um einzukaufen oder wegen sonstiger Erledigungen. Kein Wunder, dass sie den kilometerlangen bröckeligen Pfad, an manchen Stellen kaum breiter als ein Pick-up-Fahrzeug, auch nach Einbruch der Dunkelheit souverän bewältigen.

Den Neuling kann das schmale, staubige und steinige Band, das sich am steilen Abhang entlang hangelt, schon bange machen. Entlang der Schlucht geht es runter in ein Tal, in dem tatsächlich Menschen wohnen und arbeiten, versteckt in den Bergen. Bailie’s Gat liegt gar nicht so weit entfernt von der gut asphaltierten Straße von Ceres über Prince Alfred Hamlet nach Citrusdal – aber kaum ist man von dieser abgebogen, hüllt grauer Staub das Fahrzeug ein und dann ist es von Vorteil, die Gelände-Untersetzung einzulegen, damit das Allradfahrzeug langsam und kontrolliert den Abstieg bewältigen kann.

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Das Tal ist von imposanten Bergketten umsäumt, was zwangsläufig bedeutet, dass die Sonne spät erscheint und früh verschwindet. Im Sommer ein Segen, im Winter ein Fluch. Kaum schwinden die Sonnenstrahlen, ist die Wärme weg als habe man den Stecker rausgezogen. So weit, so bekanntes (Wüsten-)Phänomen.

Familie Botha bietet eine kleine Campsite, mit vier nah beieinander liegenden Stellplätzen südafrikanischen Ausstattungsniveaus. Mehr halbwegs ebenen Platz bietet der Bergeinschnitt nicht. Ich habe Glück: Ich bin alleine, und muss Bailie’s Gat – das Afrikaans-Wort „gat“ bedeutet „Loch“ – nicht mit anderen, zumeist feierlustigen, Gästen teilen. Der Ablution Block mit Toiletten, Dusche und Waschbecken gehört mir ebenso alleine wie die lange Holztafel unter einem Reetstrohdach. Und Ounooie ist auch alleine auf mich fixiert.

Die Terrier-Hündin der Bothas nimmt gerne – körpernahen – Kontakt auf zu allen Gästen und so dauert es nicht lange, da liegt sie auf meinem Schoß, während das Braai-Feuer flammt und mein – vegetarisches – Essen bruzzelt. Sie wird auch die Nacht mit im Land Rover verbringen und sich nur schwer davon abhalten lassen, ins Bett oben zu springen. Aber nein, sie muss eine Etage tiefer schnärcheln – ein zumindest mich zutiefst beruhigendes Geräusch.

Auch im ländlichen Südafrika drohen Panne & Unfall, auch Überfall at gunpoint und schließlich: Wie geht man hier mit einer etwaigen Covid-Erkrankung um? Das kleine Hunde-Mädchen beschützt einen vor solcherlei beängstigenden Gedanken, indem es sich beschützen lässt… (obwohl sie das nicht wirklich braucht).

Sie begleitet mich auch tags darauf auf meinen kleinen Erkundungs-Wanderungen im Umfeld, insofern eine Beruhigung, als dass sie wahrscheinlich mehr noch als ich alle Schlangen wahrnimmt und verscheucht; und falls nicht, so hat Yvonne erklärt, setzt das vermutlich ihrem Leben ein Ende – aber bis dahin wird das ein sehr freies und schönes Hundeleben gewesen sein. Sie darf herumlaufen, wann und wo immer sie will. Mehr wacht Yvonne über ihre Kinder – denn kleine Menschen neigen ja nunmal dazu, neugierig zu sein, alles anfassen und vielleicht sogar in den Mund zu nehmen…

Aber, so erzählt Yvonne weiter, eigentlich hat es in Jahrzehnten nur einen ernsthaften Schlangenbiss gegeben – in ein Bein des Großvaters; und mit örtlichen Mitteln gelang es, ihn ins nächste Krankenhaus nach Ceres rechtzeitig zu schaffen. Also rund 80 Kilometer, mehr als eine Stunde Fahrt; ungeachtet der schmalen Bergpiste hinauf zur Asphaltstraße (die damals bestimmt eine ungeteerte Dirt Road war). Auf dem Lande sind die Menschen zäh, sie verstehen die Ärmel hochzukrempeln und sich um ihre Belange selbst zu kümmern. Das gilt in Südafrika wie anderswo; kein Wunder, dass damit ein knorriges Selbstbewusstsein und ein mitunter sturer Konservativismus einhergehen.

Szenenwechsel: Ich verlasse die Cederberg Mountains, es geht quer rüber – Ceres, Worcester, Montagu, Barrydale liegen an der Strecke – gen Calitzdorp in der Kleinkaroo. Dort leben die Deutschen Susanne & Kurt und bieten auf der Amber Lagoon Lodge eine terrassierte Unterkunft mit Pool und Sundowner-Ausguck. Weder gibt es dort eine Lagune, noch eine wirkliche Lodge; was bei manchen, durch Luxuslodges der Winelands verwöhnten Gästinnen zu Irritationen führt. Kurt, dem die Zunge schwer mit dem Dialekt, der zwischen Freiburg und Basel gesprochen wird, belegt ist, macht da nicht viel Federlesens und erklärt dann kurz und bündig, dass er lieber auf Geld als auf seine Freiheit, die Dinge so zu gestalten, wie er will, verzichtet.

So bin ich mit ein paar Bikern alleine, mit denen ich am Abendtisch in der offenen Bar ins Gespräch komme. Unter Endurofahrern ist Amber Lagoon als Basislager beliebt für Ausflüge in die Swartberg Mountains und sonstwohin; und derbe Gesellen passen auch besser hierher. Der Name übrigens entstammt einem Boot, auf dem Inhaberin Susanne unterwegs war – er hat nichts mit der eigentlichen Umgebung zu tun.

Rund herum sind Straußen- und Rinderfarmen angesiedelt, man hört Arbeitsgeräusche von Maschinen, Traktoren und Bakkies, Kuhgemuhe, Eselsgeschrei und Hundegebell, Musik und Stimmen. Aber das sind natürliche Geräusche der Umgebung – sie stören (mich) beileibe nicht so, wie die nahezu zwanghaft aufgesetzte Fröhlichkeit und Lautstärke der Partypeople vornehmlich aus Kapstadt, die manche Campsites bevölkern. Nachts ist es sowieso still, denn rund um die Amber Lagoon Lodge arbeiten die Menschen schwer. Man kann einen fantastische Wechsel von Sonnenunter- zu Mondaufgang beobachten; speziell von der Liegefläche des Lookouts oben… und sich später von Kurts fantastischen, sogar vegetarischen, Spätzle verwöhnen lassen.

Verlassen blieb der Lookout während des Lockouts: Die pandemische Lage hat auch Amber Lagoon zugesetzt; und so muss Kurt immer mal wieder ihr persönliches Paradies verlassen und nach Deutschland fliegen, um ein paar Euro im Messebau zu verdienen. Vor mir liegen noch zwei Stationen, bevor es heimgeht.