Schlagwort-Archive: Smyril Line

Island: being comfortable in the uncomfortable!

Tour rund um Island

Tour rund um Island

Von Bakkargedi sind es ein paar Kilometer Piste bis zum Anschluss ans Asphaltband. Ab diesem Punkt ist Egilsstadir an der Ringstraße schnell erreicht. Wenn nicht mehr nur die “Norröna”-Fähre der Smyril-Line Wohnmobil- und Geländewagenfahrer im Hafen Seydisfjördur anlanden lässt, sondern auch  Kreuzfahrtschiffe anlegen, wird es mit der relativen Unberührtheit der in der vergangenen Woche passierten Gegenden um Bakkargedi, Husey, Vopnafjördur, Langanes, Raufarhöfn, Hraunhafnartangi, Kopasker vorbei sein.

Dabei haben uns die Ostfjörde am meisten berührt – gerade weil ihnen spektakuläre Höhepunkte wie all die Gletscher, Wasserfälle, Hot Pots und Geysire fehlen. Weil es raue Küstenlandschaft pur ist – und das genügt. Weil nur wenige Besucher sich auf den Weg machen, das Unspektakuläre zu genießen. Weil Reykjavik mit dem internationalen Flughafen Kevlavik und als Reisebus-Ausgangsort am anderen Ende der Insel liegt.

Trockenfisch-Depot angelegt

In Egilsstadir waren wir zu Beginn der Reise Geld wechseln und einkaufen, und so ist es auch der Treffpunkt für letzte Verrichtungen vor dem Ablegen der “Norröna” – Beate und ich nutzen die letzte Gelegenheit, einen Vorrat an Trockenfisch anzulegen. Wir treffen die beiden anderen ursprünglichen Mitfahrer der Tour, Claudia und Sibylle im Iveco am Bonus-Supermarkt, und Anne und André im IFA an der Tankstelle. Sprit ist in Island und Dänemark teurer als in Deutschland, wir tanken nur soviel nach, dass wir mit den Diesellitern Flensburg erreichen können.

Ein paar Kilometer nach Seydisfjördur, dem eigentlichen Fährhafen, dort sammeln sich Gelände-LKWs-, –wagen-, motorräder, –räder, sowie Pkws und Asphalt-Wohnmobile… wir werden mit zwei anderen deutschen Unimogs an die Seite eingewiesen. Es entwickeln sich Benzingespräche, an denen wir kaum teilnehmen, weil  wir krachlederne Großspurigkeit eher nicht teilen. So wird es auch an Bord der Fähre sein, wo derbe Gesellen bei derber Unterhaltung versuchen, die Biervorräte der “Norröna” in zwei Abenden bei Live-Gitarrenmusik zu tilgen.

"Norröna"-Fähre in ihrem Heimathafen Thorshavn

„Norröna“-Fähre in ihrem Heimathafen Torshavn

 

 

 

Die Fähre legt einen achtstündigen Zwischenstopp in Torshavn auf den Färöer-Inseln ein. Wir nutzen die Zeit für eine kleine Stadtbesichtigung und einen Imbiß: Fish’n’Chips.

Eine mehr als 70jährige Dame mit Krebs wird unser Herz berühren – sie kommt seit vielen Jahren alleine mit ihrem altertümlichen Hymer-Wohnmobil nach Island, jeweils für rund zwei Monate. Island ist ihr Gesundbrunnen, sagt sie. Ihre Überlebensprognose ist die Ärzte überraschend positiv.

Kein Platz für Romantisiererei: Nomaden haben es nicht leicht

An Bord der Fähre sind aber auch einige knorrige Bus-Touristen, die das Handtuch-Liegestuhl-Spiel pflegen; eine Erinnerung daran, dass das freie Vagabundentum auch bedeutet vogelfrei zu sein und von ängstlichen Territorialnaturen weggebissen zu werden. Sich frei zu fühlen und zu bewegen, nur dem eigenen Willen und den eigenen Entscheidungen unterworfen, ist häufig eine Bedrohung für Menschen, die sich in ihrem reduzierten Vollkaskodasein eingerichtet haben. Beide Seiten bezahlen einen Preis für ihren Lebensstil.

Wilde Wikingerin im WInd: Beate

Wilde Wikingerin im WInd: Beate

Bewegung und Veränderung und Unstetigkeit kann man als Bedrohung oder Bereicherung erleben. Oder beides bzw. als zwei Kehrseiten einer Medaille wahrnehmen. Island hat uns mehr als jedes andere Land gelehrt, dass die wahre Natur des Seins im permanenten Wechsel und dauernden Unzuverlässigkeit der Bedingungen liegt. Wetter, Klima, Wind, Wärme, Kälte, sich verändernde Landschaften, sich verändernde Pisten, mögliche Vulkanausbrüche –  in Island lernt man, mit dem klarzukommen, was gerade ist und was gerade möglich ist. Was einem vor die Nase, unter die Füße oder unter die Räder kommt.

Auf den Wetterbericht zu schauen – das haben wir nach einer Weile eingestellt. Wetter ist das, was da draußen vor der Tür des Fahrzeugs ist; nicht das in einer Wetter-App. Man kleidet sich ein, man stattet sich aus am besten mit allen Varianten (außer für 30 Grad im Schatten). Island bedeutet: traumhafte Landschaften und Wachheit und Bereitschaft, sich auf alle Wechselfälle einzustellen und sie zu leben. Being comfortable in the uncomfortable.

Home is where you are

Und daraus kein großes Ding machen, sondern eine Selbstverständlichkeit. Uns hat dieses (Selbst-)Verständnis so sehr gepackt, dass wir den direkten Weg heim scheuten, sondern noch eine freie Übernachtung in der Lüneburger Heide einschoben, und sogar nur einige hundert Meter Luftlinie von unserem Haus auf den Höhen des angrenzenden Hügelkamms noch eine Nacht im Unimog verbrachten.

Home is where you are, hat Jon Kabat-Zinn, Begründer der Mindfulness Based Stress Reduction, gesagt – und obwohl zu meinen Erwerbstätigkeiten die des MBSR-Kursleiters zählt, ist mir diese Aussage vielleicht in Island zum ersten Mal wirklich klar geworden. Wenn wir nach einer Tagesetappe den Unimog anhielten und inne hielten. We are Icelanders!, rufen wir seither, wenn Kälte, Nässe und Wind draußen, Trägheit, Bequemlichkeit und Unlust in uns drohen. Wir können mit allem klarkommen, und wir genießen es.


Update 30.9.2016: Seither haben wir jede Nacht draußen im kleinen Garten unseres Hauses geschlafen. Das Gärtchen ist von außen nicht einsehbar, verfügt über eine kleine, überdachte Terrasse. Dort haben wir aus den Lounge-Sesseln, einer alten Matratze und ein paar Brettern ein Bett gebastelt. Nachts sinken die Temperaturen auf etwa acht Grad, wir liegen und dicken Decken, der Wind weht, die Zweige des Olivenbaumes wiegen sich, die Sterne funkeln oder die Wolken schimmern, Vögel fliegen vorbei oder putzen sich im Teich, die Sonne geht zwischen sechs und sieben Uhr auf, wir werden wach und brechen zu einem halbstündigen Crosslauf über die umliegenden Felder auf.

So sollte es immer sein. In Kontakt mit der Natur, in Kontakt mit uns. „Freiheit…“, hat Konstantin Wecker gesungen, „…des hoaßt ka Angst ham vor nix und niemand“. Danke, Island!